Werkstätten:Messe Newsroom
„Ich bin wie X-Men – nur ohne Superkraft“

Leonhard „Leo“ Ley ist 27 Jahre alt, arbeitet im Rundfunkmuseum Fürth und lebt in Zirndorf. In seiner Freizeit geht er ins Fitnessstudio, zum Bowling, spielt Improvisationstheater und hat einen eigenen YouTube-Account. Und er hat das Down-Syndrom. Über Lebenseinstellungen, Superkräfte und seinen Traum Inklusionsbeauftragter des Rundfunkmuseums Fürth zu werden.
Ein junger Mann in Jeanshose und -hemd reicht seine Hand und beugt dabei leicht den Kopf nach unten. Die Begrüßung in der Cafeteria des Rundfunkmuseums Fürth ist ausgesprochen höflich. Sein Blick durch die runde Brille mit schwarzem Rahmen schweift ruhelos von einem Punkt zum anderen und bleibt immer wieder kurz hängen. Leonhard Ley ist einer von weltweit circa fünf Millionen Menschen mit Trisomie 21, dem Down-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine Chromosomenstörung, bei der das 21. Chromosom bei Betroffenen dreifach vorhanden ist und somit jede Zelle 47 anstatt 46 Chromosomen aufweist. Für den 27-Jährigen, der einfach Leo genannt wird, ist das vergleichbar mit Superhelden. Sein Down-Syndrom würde er nicht als Behinderung bezeichnen. Er persönlich betrachte sich viel lieber als X-Men – nur ohne Superkraft: „Es ist doch nicht mehr als das. Die X-Men haben ein Gen, das ihnen Superkräfte verleiht. Und ich habe ein Chromosom zu viel. Wo ist da der Unterschied? Im Grunde sind wir X-Men, nur ohne die Kräfte. Obwohl, vielleicht habe ich die Superkraft, jeden um mich herum zum Lachen zu bringen.“
Ob Superkraft oder Stärke – Leo hat sie zweifelsfrei. „Aber die habe ich nicht aufgrund des Down-Syndroms“, sagt er. „Ja, ich bin ein Mensch mit Down-Syndrom. Aber ich schlafe nicht Down-Syndrom, ich stehe nicht Down-Syndrom auf und wenn ich Zug fahre, frage ich nicht, wo der Down-Syndrom-Waggon ist. Das Down-Syndrom ist nicht meine Identität. Ich bin ein Mensch. Ein einfaches menschliches Wesen.“
Später einmal möchte er immer noch im Rundfunkmuseum Fürth arbeiten. Dann vielleicht als Pressesprecher, oder Inklusionsbeauftragter – primär jedoch letzteres. „Ich meine, wer könnte das besser als jemand mit Behinderung?“ Er möchte leben und arbeiten wie jeder andere Mensch auch. Und er hätte gerne die gleichen Chancen.
Damit solche Träume für Menschen wie Leo irgendwann in Erfüllung gehen können, dreht sich vom 19. bis 22. April 2023 auf der Werkstätten:Messe im Messezentrum Nürnberg alles rund um die Themen berufliche Teilhabe, erfolgreiche Integration und Ausbildungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen. Die Fachmesse für berufliche Teilhabe und Leistungsschau der Werkstätten für behinderte Menschen stellt vom 19. bis 22. April 2023 nicht nur den Inklusionsprozess in den Mittelpunkt, sondern stärkt auch die öffentliche Wahrnehmung. Als Besucher kommt Leo gerne. Denn für Leo ist Inklusion ein Herzensthema, bei dem er sich auch schnell in Rage reden kann. Eine Thematik, die erst in den Köpfen der Menschen stattfinden muss. Seiner Meinung nach höre Inklusion nicht einfach an der Eingangstür auf: „Inklusion beginnt da, wo die Rollstuhlrampe endet.“
Ausgebremst fühle er sich nicht. Er wäre nur gerne auf eine normale Schule gegangen, mit Noten. Er hätte auch gerne die Möglichkeit gehabt zu studieren. Beides die größten Herausforderungen für Menschen mit Down-Syndrom. Seine zwei jüngeren Geschwister seien in dieser Hinsicht an ihm vorbeigezogen. „Da bin ich mehr als neidisch auf die beiden.“ Stattdessen besuchte er die Grund- und Mittelschule Pestalozzistraße und später die Schule Homburger Straße in Zirndorf.
Leo möchte Menschen zum Lachen bringen. Und das schafft er gut. In Gesprächen lebt er zum Entertainer auf, reißt Witze, imitiert Dialekte, singt – und verblüfft mit seiner ausgeprägten Dehnbarkeit, die bei Menschen mit Down-Syndrom häufig aufgrund einer Bindegewebsschwäche vorhanden ist. Wenn er erzählt, runzelt er die Stirn, zieht die Augenbrauen zusammen, lacht, reißt die Augen auf, oder kneift sie zusammen. Es scheint, als würde dabei sein Gesicht die oft sehr ergreifenden Geschichten miterzählen. Das Wort Behinderung störe ihn nicht, sagt er – so lange man es nicht als Schimpfwort oder Beleidigung gegen ihn verwende.
Curry und Kiwis verträgt Leo nicht. Schwächen – auf den ersten Blick für ihn nur Intoleranzen. Für Situationen, in denen andere Menschen seine Behinderung als Schwäche ansehen, hat sich Leo über die Jahre eine passende Gegenfrage zurechtgelegt, die tief blicken lässt: „Ich wurde schon mehrmals in meinem Leben gefragt: „Wie gehst du mit deiner Krankheit um?“ Ich frage dann einfach: „Wie ist es denn mit deiner?“ Wenn jedoch aus übergriffigen Fragen, Beleidigungen und Beschimpfungen werden, hat sich Leo sogar eine eigene Bewältigungs-Strategie angeeignet. Sobald ihn andere als Behinderter beleidigen, winkt Leo ganz stark, verzieht sein Gesicht zu einer Fratze und ruft „Hallööö!“. Das Beste an diesen Momenten sei die erschrockene und peinlich berührte Reaktion des Gegenübers. Er möchte damit sensibilisieren und wachrütteln.
Der Spaß und Humor – für andere eine Bereicherung, für ihn selbst reiner Selbstschutz. Selbstschutz vor Beleidigungen, alten Wunden oder Ängsten. Angst vor der „realen Welt“. So flüchte er sich oft in seine Serien- und Filmwelt, weil es dort einfach schöner sei. Oder in seinen Humor: „Ja, ich verstecke mich auch oft hinter meinen Witzen. Eigentlich andauernd. Mein Erfolgsgeheimnis schon in Schulzeiten: 'Wer lacht, haut nicht auf die Fresse‘.“ Das schlimmste Erlebnis, das ihn verändert habe, wolle man nicht wissen. „Ich rede nicht gerne darüber, weil sonst alte Wunden wieder aufgehen, die eigentlich schon frisch vernarbt sind. Ich könnte jede Aktion, die jemals gegen mich verwendet wurde, aufzählen, dann sitzen wir aber noch hier, bis ich Feierabend habe. Ich habe nicht umsonst einige Male eine neue Brille gebraucht.“ Zum Teil waren das aber auch Mitschüler mit Behinderungen. Möglicherweise sei daran seine Überheblichkeit schuld. Er stelle sich manchmal über Menschen mit Behinderungen. Das sei seine größte Schwäche – nicht nur eine Curryintoleranz.
Dass er auch mal ungeduldig sein kann, bringt Leo während der Unterhaltung durch verschiedene Geräusche zum Ausdruck. Sobald jemand anderes spricht, und er darauf wartet ebenfalls zu Wort zu kommen, presst er den Mund zusammen und prustet Luft hinaus. Er schmatzt, er gähnt, singt und versucht immer wieder einzuhaken, unterbricht mit „und so weiter uns sofort“, bis er das Gespräch wieder selbst in der Hand hat. „Ich rede gerne, ich höre mich gerne reden und ich bringe Leute gerne zum Lachen.“
Grundsätzlich fühle er sich im Leben und der Gesellschaft integriert, doch das sei nicht immer der Fall. Besonders Menschen mit Down-Syndrom hätten häufig ihren eigenen Kreis in den Werkstätten, aus dem sie aus Integrationsgründen, oder aufgrund anderer Ursachen häufig nicht ausbrechen können. Sätze wie „Ich will beim Essen nicht neben dem Sitzen, denn der sieht ja komisch aus“ würden ihn aber auch heute noch begleiten. Ausschlaggebend für seine eigene Integration par excellence war aber besonders die Teilnahme in einem Zeltlager vor zehn Jahren. Dort habe er seinen heute besten Freund, der dort pädagogischer Betreuer war, kennengelernt und dessen Trauzeuge er mittlerweile ist: „Ich wurde immer mehr in seinen Freundeskreis aufgenommen.“
Leo hat es durch Improvisationstheater geschafft, Selbstvertrauen aufzubauen. Was das Richtige für jeden einzelnen ist, müsse jeder selbst herausfinden. Es gäbe hierfür keinen universellen Rat für Menschen mit Down-Syndrom. Andere schaffen es mit Kunst, Musik, Tanz oder anderen Hobbies. Der Schlüssel: Selbstvertrauen aufbauen, durch die Integration in einer Gemeinschaft. Durch das Ausüben eines Hobbys, Teil einer Gruppe zu werden. Von null auf hundert klappe das jedoch nie. Gleichzeitig appelliert er an Menschen mit Down-Syndrom, die mit ihrer Behinderung nicht so gut umgehen können wie er: „Suche dir jemanden, bei dem du dir denkst: Wenn er das geschafft hat, schaffe ich das auch.“
Drüberstehen – das ist Leo´s Devise. Und das rate er allen Menschen, unabhängig von Behinderungen. Besonders, wenn man wie er auch online unterwegs ist, solle man dies beherzigen. Denn dass Hass im Internet normal ist, wisse er. Seinen eigenen YouTube-Account „leonaang live“ sehen seine Eltern daher kritisch: „Sie möchten nicht, dass sich ihr kleiner Bubi dem bösen hate aussetzt. Meine Eltern haben sich schon immer sehr für mich engagiert – und tun das immer noch. Wahrscheinlich werden sie damit auch bis zu ihrem Ende nicht aufhören.“ Ihnen sei es besonders wichtig gewesen, dass Leo nicht ausgegrenzt wird, und haben ihn deshalb schon als Kind intensiv gefördert. Lange vor dem Kindergarten habe sein Vater ihm mit Bildern das Lesen beigebracht. Eltern von Kindern mit Down-Syndrom möchte er einen ganz besonderen Rat mitgeben: „Ein Kind mit Down-Syndrom reicht nicht. Gebt ihm doch noch ein Geschwisterchen mit Down-Syndrom – bereichert die Welt.“
Und dann singt er einfach los: „Du bist gewollt kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur. […] Du bist ein Gedanke Gottes, ein genialer noch dazu. Du bist du. […]“, und interpretiert das Kinderlied „Vergiss es nie“ von Jürgen Werth. Ob es einen Gott gibt, wisse er nicht. „Aber wenn es einen gibt, dann hat er das Down-Syndrom erschaffen. Er wusste genau, dass wir es nicht leicht haben werden. Da hat er uns einfach bestimmte Fähigkeiten mitgegeben. Neben unserer physischen Stärke, eine etwas längere, dickere Zunge. Und er hat sich bemüht, dass wir bessere Küsser werden. Wer´s nicht weiß, hat noch nie mit einem Menschen mit Down-Syndrom geknutscht.“